LIEBESLEBEN: FOREVER ALONE – ÜBER DIE ANGST, NIEMANDEN ZU FINDEN

Katja malt mit Sprache Bilder auf ihre Wortleinwand. In ihrer Kolumne nimmt sie euch mit in ihr Atelier: Als absoluter Gefühlsmensch schreibt sie über die Liebe und das Leben – ein bisschen philosophisch und ein bisschen psychologisch, mit einem Hauch von Melancholie.

Während ich diese Zeilen schreibe, ist es 3 Uhr nachts und ich sitze in einem Zug, der von München nach Berlin fährt. Ich bin auf dem Rückweg von einer Freundin, die ich in Konstanz besucht habe. Gefühlt bin ich dieses Jahr nur unterwegs, ohne jemals irgendwo anzukommen – jedenfalls nicht für längere Zeit.

Im selben Moment ist meine Schwester im Krankenhaus und gebärt ihr zweites Kind. Mein Stiefbruder, der nur ein paar Monate älter ist als ich, zieht in wenigen Wochen mit seiner Freundin zusammen.

Die Freundin, die ich in Konstanz besucht habe, ist seit mehr als acht Jahren mit ihrem Freund zusammen und schon vor zwei Jahren mit ihm in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Meine beste Freundin hat ihren Freund seit sieben Jahren und wohnt schon fast ebenso lange mit ihm zusammen.

Auch die insgesamt ziemlich jungen Kolleg*innen, von denen ich bei meinem aktuellen Praktikum umgeben bin, sind beinahe alle in festen Händen. Mädels, die – genau wie ich – 22 Jahre alt sind, heiraten und bekommen Kinder.

Und während gefühlt alle meine Verwandten, Freund*innen und Bekannten friedlich neben ihrem*ihrer Partner*in im Bett liegen, sitze ich um 3 Uhr nachts allein in diesem Zug und tippe diese Zeilen, weil ich nicht schlafen kann. Das Gekicher des Pärchens neben mir ist zu laut, die Krankenhausbeleuchtung an der Decke zu hell und die Klimaanlage zu kalt. Ganz zu schweigen von dem mehr als unbequemen Polster. Ich will nicht mehr.  

Zeitsprung: Wir haben 8 Uhr morgens. Besagte Verwandte, Freund*innen und Bekannte haben heute Nacht sicher von einer wunderbaren Zukunft mit ihrem Schatz geträumt und starten gerade bei einem gemeinsamen Frühstück mit Brötchen vom Bäcker und frisch gepresstem O-Saft sanft in den Tag. Währenddessen habe ich im Zug effektiv anderthalb Stunden Schlaf abbekommen, sitze mittlerweile in der Berliner S-Bahn – noch immer auf dem Heimweg – und frage mich, ob sich in meiner Wohnung noch irgendetwas Essbares befindet. Kurz gesagt: Ich habe das Gefühl, mein Leben irgendwie nicht unter Kontrolle zu haben.

Normalerweise macht mir das nichts aus. Meistens gefällt mir der Gedanke, ein Leben zu führen, das von Spontaneität, Unterwegssein und Abenteuern geprägt ist. Meistens genieße ich es, irgendwie überall und nirgendwo zu wohnen. Aber manchmal eben auch nicht. Und heute ist einer dieser Tage, an denen ich mich danach sehne, ein Zuhause in Form einer einzigen Person zu haben und eine kleinstädtische Spießerin zu sein, die vollkommen in ihre langjährige Beziehung und alle damit verbundenen Wünsche und Träume eingespannt ist.

Denn manchmal schleicht sich diese Angst in meinen Kopf – die Angst, eben nicht diese eine Person zu finden, mit der ich mir eine gemeinsame Zukunft ausmalen kann, mit der ich jede Nacht friedlich zusammen einschlafe und die mich bis ans Ende meiner Tage liebt.

Ich glaube, einerseits hat diese Angst ihren Ursprung in allem, was davon abzuhängen scheint, ob man mit Ende 20 oder Anfang 30 eine langjährige Beziehung zu verzeichnen hat oder eben nicht. Denn keine Beziehung bedeutet (zumindest in den Köpfen der meisten Menschen): keine Hochzeit, keine Kinder, keine Enkelkinder.

Andererseits ist es aber auch der Gedanke ans Alleinsein und -bleiben an sich, der mir zeitweise Unbehagen bereitet. Der Gedanke, allein zu sterben und das Leben bis zu diesem Punkt allein verbringen zu müssen.

Wir werden so eingehend mit der Idee der einen und einzigen großen, wahren, ewigen Liebe sozialisiert, dass sich die Suche nach dieser Person wie eine Challenge anfühlt, die man erfolgreich meistern muss, um als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt zu werden. Der Gedanke daran, diese Person möglicherweise nicht zu finden, löst in mir unwillkürlich das Gefühl aus, versagt zu haben. Und das, obwohl ich nicht einmal weiß, ob ich überhaupt so leben möchte, oder ob es nur um die Angst geht, nicht hineinzupassen in diese Welt und ihre Konventionen. Die Angst, meine Eltern zu enttäuschen. Die Angst, nicht so gut in deren Idealvorstellung von einem Kind zu passen wie meine Schwester oder meine Stiefgeschwister.

Ich will diese Gedanken nicht haben. Ich glaube, der Schlüssel dafür liegt – wie so oft – in zwei Dingen: Zum einen sollten wir uns an uns selbst orientieren und aufhören, uns ständig mit allen anderen zu vergleichen. Zum anderen sollten wir im Moment leben anstatt uns Gedanken über jegliche Eventualitäten zu machen, die zwar irgendwann vielleicht einmal eintreten könnten, es letztendlich aber wahrscheinlich sowieso nicht tun. Und selbst wenn: Was bringt es uns, wenn wir uns jetzt den Kopf darüber zerbrechen?

Wichtig ist nicht: Was haben andere?, sondern: Was habe ich? – Antwort: keinen Beziehungspartner, mit dem ich in naher Zukunft zusammenziehen, heiraten oder Kinder haben werde.  

Wichtig ist auch nicht: Was will ich vielleicht irgendwann?, sondern: Was will ich jetzt? – Antwort: definitiv keinen Beziehungspartner, mit dem ich in naher Zukunft zusammenziehen, heiraten oder Kinder haben werde.

Was fällt mir auf, wenn ich mir diese Fragen stelle? Richtig: Das, was ich momentan habe, stimmt mit dem überein, was ich momentan will. Also, wo liegt das Problem? Ganz einfach: In der Gegenwart existiert schlichtweg kein Problem.

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Bildquelle: Andrea Piacquadio on Pexels, CC0-Lizenz

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